Die Naturfreunde haben von Anfang an die Familie in den Mittelpunkt ihrer Bewegung gestellt – bereits am 29. Dezember I9I3 wurden die ersten weiblichen Mitglieder aufgenommen.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges hatte die Ortsgruppe bereits 47 Mitglieder;
I9I5 waren dann schon zwölf männliche Mitglieder in den Krieg eingezogen worden. Die Daheimgebliebenen trafen sich weiter, sandten „Liebesgabenpakete“ und wanderten gemeinsam.
Sechs Mitglieder sind im Krieg gefallen, alle anderen kehrten I9I8 nach Tübingen zurück und engagierten sich aktiv im Verein. Mit einem Lichtbildervortrag wurden die Mitglieder wieder zusammengerufen und die alte Gemeinschaft wiederbelebt.
Im Januar 1919 berichtet das Protokollbuch sogar über elf Neuaufnahmen.
Die Wandertätigkeit kam erneut in Schwung, zusätzlich wurden Kinderwanderungen organisiert.
1920 wandte sich die Ortsgruppe mit einem „flammenden Protest“ gegen den Abbau des Naturdenkmals Wildseemoor bei Kaltenbronn, 1922 entstand die erste Jugendgruppe. Das rege Vereinsleben wurde nur durch die rasch fortschreitende Inflation gehemmt.
Für den Bau eines Wanderheimes des Bezirks „Mittlere Alb“ beteiligte sich die Ortsgruppe I924 am Kauf des Baugrundes am Rutschfelsen. Mit wenig Geld aber viel Idealismus betrieben die Naturfreunde in den folgenden Jahren den Hausbau, bis die Rohrauer Hütte” am 16. und 17. Juli 1928 eingeweiht werden konnte.
Das Protokollbuch von Mai 1924 bis zum Verbot der Naturfreundebewegung durch die Nationalsozialisten im März 1933 ist verschwunden. Fotografien und einzelne Berichte zeigen lückenhaft das rege Ortsgruppenleben, welches mit dem Verbot, der Beschlagnahmung des Vermögens und der Enteignung der Naturfreundehäuser jäh endete.
Trotzdem hörte auch während des Zweiten Weltkrieges die Wandertätigkeit nie ganz auf. Wenn auch von einigen immer argwöhnisch beobachtet, fanden sich die Naturfreunde an vielen Sonntagen auf der Schwäbischen Alb, im Schönbuch oder im Schwarzwald zusammen. Eine stille Freude bereitete es den Naturfreunden, als die Nationalsozialisten die Naturfreundehäuser auf der Alb dem Schwäbischen Albverein zum Kauf angeboten hatten und der damalige Vorsitzende das Angebot mit der Bemerkung „er wolle sich nicht an gestohlenem Gut bereichern“ ablehnte.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges konnten 1946 in der amerikanischen Besatzungszone die ersten Naturfreunde-Ortsgruppen neu gegründet werden.
In Tübingen gab es erheblichen Widerstand durch die französische Militärregierung – man wollte u. a. unser altes Abzeichen mit den verbrüderten Händen und den Alpenrosen nicht anerkennen.
Erst am 13. September 1947 konnte in der Ratsstube im Untergeschoss des Rathauses die Wiedergründung der Ortsgruppe beschlossen werden.
Das Vereinsleben sollte ohne Parteistreitigkeiten sein, alles Trennende vermieden werden, der Geist aus der Gründerzeit wiedererwachen und die Ziele der Naturfreundebewegung im Mittelpunkt stehen. Im Februar 1948 erteilte die Militärregierung die endgültige Zulassung als Verein.
Am 6. August 1949 wurde uns unser Eigentum, die Rohrauer Hütte, zurückgegeben – ausgeplündert und in einem verwahrlosten Zustand.
Die erste Wanderung führte uns dorthin; die Hütte erlangte wieder ihren ursprünglichen Zweck als Wanderstützpunkt und Ferienheim.
Werbeveranstaltungen im „Löwen“ in Tübingen und im „Ochsen“ in Tübingen-Derendingen waren so gut besucht, dass sie wegen Überfüllung geschlossen werden mussten – die Mitgliederzahl stieg parallel dazu schnell an.
Bereits 1948 bildete sich eine Jugendgruppe, die sich zuerst in der Jugendherberge und später in der kleinen Baracke am Stauwehr zusammenfand. Der erste Jugendleiter hatte gute Verbindungen zur Militärregierung und wurde später auch Vertreter der Jugendverbände im Referat für Inneres des Landes Südwürttemberg-Hohenzollern.
Er konnte aus Militärbeständen für alle Jugendlichen lederne Ski- und Wanderstiefel beschaffen, es wurde eine Reisekasse eingerichtet und man wanderte gemeinsam mit der Ortsgruppe.
1951 brannte die kleine Baracke durch Brandstiftung aus – man musste sich einen neuen Treffpunkt suchen. Ein Raum in der zweiten Baracke sollte bis 1957 das Domizil der Jugendgruppe sein.
Die Mitglieder kamen vorrangig aus der Kriegsgeneration, viele von der Front oder aus der Gefangenschaft, andere waren aus der Heimat vertrieben oder ausgebombt worden. Es fehlte am Nötigsten. Aber das Gefühl, sich ohne Angst frei bewegen, sich frei äußern zu können, einem demokratisch aufgebauten Verein freiwillig beizutreten – das waren besonders für die Jüngeren vollkommen neue Erlebnisse.
Die 1950er Jahre waren voller Aktivitäten – Häuser wurden aus- und neu gebaut. Die Rohrauer Hütte ist fast ausschließlich in Eigenleistung 1956 um das Doppelte vergrößert und an die Wasser- und Stromleitung am Fohlenhof angeschlossen worden.
Die Jugend suchte wieder einen neuen Raum – fündig wurde sie im April 1959 in der Hölderlinschule.
1960 nahm unser Jugendleiter der Tübinger Naturfreundejugend und Vorsitzender des Stadtjugendrings an dem Festakt zur Gründung der Städtepartnerschaft in Aix-en-Provence teil. Mit Unterstützung der Stadt entwickelte sich ein Jugendaustausch, getragen von der Tübinger Naturfreundejugend und der Alpenvereinsjugend sowie Partner der „Association des Excursionnistes Provencaux“ (AEP).
Es folgten gemeinsame Skifreizeiten in Le Sauze und Gegenbesuche in Tübingen.
Bei dem 50-jährigen Jubiläum der Ortsgruppe appellierte der Festredner an die Politiker, auf Rache und Vergeltung zu verzichten und abzurüsten.
Bei Veranstaltungen und in der Ortsgruppe wurde viel gesungen und gespielt – auch mit der 1965 gegründeten Kindermusikgruppe. Sie entwickelte sich und wurde fester Bestandteil bei vielen Veranstaltungen – Höhepunkt war das Landesmusiktreffen der württembergischen Naturfreunde 1974 in Tübingen-Lustnau.
Im Protokollbuch ist 1970 vermerkt: „Über Ostern kommt eine Delegation aus Aix-en-Provence.“ Sechs Personen dieser Gruppe nahmen an der Osterwanderung der Naturfreunde zum Donautal-Haus teil- dies war das erste Zusammentreffen mit französischen Freunden – der Kontakt sollte halten.
1971 erfolgte die Eintragung in das Vereinsregister.
Herbert Schmitt
Geschichte der Naturfreunde – die Jahre 1974-1979
[Schmitt, Herbert: Berg frei – Mensch frei – Welt frei! Facetten der Vereinsgeschichte, 1913 – 1973, in: Natur. Hier bin ich Mensch, hier will ich sein. 100 Jahre Naturfreunde Tübingen, hrsg. von Evamarie Blattner & Wiebke Ratzeburg, Tübingen 2013, S. 85-87]